Mitten im geteilten Berlin sendete ein Radiosender, der Geschichte schrieb und Millionen Menschen Hoffnung gab. Das Funkhaus RIAS war mehr als nur ein Medium – es war eine Waffe im Kalten Krieg, die mit Worten und Wahrheit kämpfte. Seine Geschichte erzählt von Mut, Journalismus und dem unerschütterlichen Glauben an die Freiheit.
Die Stimme der Freiheit in geteilter Stadt
Das Funkhaus RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) war weit mehr als nur ein Radiosender – es war ein Symbol der Hoffnung, ein Fenster zur freien Welt und eine der wirkungsvollsten Waffen im psychologischen Kampf des Kalten Krieges. Von 1946 bis 1993 sendete RIAS aus West-Berlin und wurde zur journalistischen Institution, die Millionen von Menschen in Ost und West erreichte.
Die Anfänge: Eine Radiostimme entsteht
Im Februar 1946, nur wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ging RIAS erstmals auf Sendung. Die amerikanische Militärregierung gründete den Sender mit einem klaren Ziel: den Menschen in Berlin und der sowjetischen Besatzungszone eine Alternative zur kontrollierten Berichterstattung zu bieten. Der Standort im amerikanischen Sektor Berlins gab dem Sender seinen Namen und wurde zum Programm.
Anfangs operierte RIAS von provisorischen Studios aus, doch bereits 1948 bezog der Sender sein charakteristisches Funkhaus in der Kufsteiner Straße in Schöneberg. Das Gebäude entwickelte sich schnell zum journalistischen Herzen West-Berlins und zum Horrschreckgespenst der DDR-Führung.
RIAS während der Berlin-Blockade
Seine erste große Bewährungsprobe erlebte RIAS während der Berliner Blockade 1948/49. Als die Sowjetunion alle Land- und Wasserwege nach West-Berlin sperrte, wurde der Sender zur Lebensader für die eingeschlossene Bevölkerung. RIAS informierte rund um die Uhr über die Luftbrücke, koordinierte Hilfsmaßnahmen und stärkte den Durchhaltewillen der West-Berliner.
Der berühmte Slogan “Eine freie Stimme der freien Welt – hier ist RIAS Berlin!” wurde in dieser Zeit zum Symbol des Widerstands gegen sowjetische Repression. Für Millionen von Hörern in der DDR wurde RIAS zur wichtigsten, manchmal einzigen Quelle unabhängiger Nachrichten.
Die goldenen Jahre: Programm und Persönlichkeiten
In den 1950er und 1960er Jahren entwickelte sich RIAS zu einem der professionellsten und einflussreichsten Sender Europas. Das Programm war vielfältig und anspruchsvoll:
- Nachrichtenredaktion: Das Herzstück des Senders lieferte stündlich Nachrichten, die in der DDR oft erst Tage später oder gar nicht berichtet wurden. Die Redakteure arbeiteten mit höchsten journalistischen Standards und wurden zu Vertrauenspersonen für Millionen von Hörern.
- Kulturprogramm: RIAS bot hochwertige Musik, von klassischen Konzerten bis zu amerikanischem Jazz. Das RIAS-Tanzorchester und später das RIAS-Symphonieorchester wurden zu renommierten Klangkörpern. Literarische Sendungen, Hörspiele und Kulturmagazine ergänzten das Angebot.
- Politische Magazine: Sendungen wie “Kommentar am Abend” oder “Außenpolitik im Gespräch” boten fundierte Analysen und wurden auch im Westen hoch geschätzt.
- Unterhaltung: Mit populären Moderatoren und Musiksendungen erreichte RIAS auch ein jüngeres Publikum. Die Mischung aus Information und Unterhaltung machte den Sender attraktiv für alle Altersgruppen.
Der unsichtbare Kampf: RIAS und die DDR
Für die DDR-Führung war RIAS ein permanenter Dorn im Auge. Der Sender wurde als “Feindsender” diffamiert, das Hören wurde zwar nicht explizit verboten, aber sozial geächtet und konnte berufliche Nachteile mit sich bringen. Dennoch hörten Schätzungen zufolge bis zu 80 Prozent der DDR-Bevölkerung regelmäßig RIAS.
Die DDR-Regierung versuchte mit verschiedenen Mitteln, RIAS zu bekämpfen:
- Störsender: Technische Maßnahmen sollten den Empfang erschweren, waren aber nur bedingt erfolgreich.
- Gegenangebote: Mit Sendungen wie “Schwarzer Kanal” versuchte das DDR-Fernsehen, RIAS-Berichte zu kontern.
- Propaganda: RIAS wurde als “Hetzsender” und Instrument des Klassenfeindes dargestellt.
Trotz dieser Anstrengungen blieb RIAS für viele DDR-Bürger die wichtigste Informationsquelle, besonders in Krisenzeiten.
Historische Momente
RIAS spielte bei zahlreichen historischen Ereignissen eine zentrale Rolle:
- 17. Juni 1953: Während des Volksaufstands in der DDR berichtete RIAS live über die Ereignisse und wurde zur Stimme der Demonstranten. Die DDR-Führung beschuldigte den Sender später, den Aufstand angezettelt zu haben – eine Behauptung, die historisch nicht haltbar ist.
- Mauerbau 1961: Als in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 die Berliner Mauer errichtet wurde, war RIAS einer der ersten, der darüber berichtete. Die Reportagen vermittelten das Entsetzen und die Hoffnungslosigkeit der getrennten Familien.
- Prager Frühling 1968: Die Berichterstattung über die Ereignisse in der Tschechoslowakei und die sowjetische Intervention erreichte auch in der DDR ein großes Publikum.
- Friedliche Revolution 1989: In den entscheidenden Monaten des Herbstes 1989 informierte RIAS über die Montagsdemonstrationen, die Flüchtlingswelle und die politischen Entwicklungen. Die Reportagen trugen dazu bei, die Bewegung zu verstärken und zu koordinieren.
Das Ende einer Ära
Mit dem Fall der Mauer 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 hatte RIAS seine ursprüngliche Mission erfüllt. Am 1. Januar 1992 fusionierte RIAS mit dem Sender Freies Berlin (SFB) und anderen Sendern zum Rundfunk Brandenburg (später Teil des RBB). Die letzte Sendung unter dem Namen RIAS lief am 31. Dezember 1993.
Vermächtnis und Bedeutung
Das Funkhaus RIAS war mehr als ein Propagandainstrument des Kalten Krieges. Es war ein Beispiel für qualitativ hochwertigen Journalismus, der Millionen von Menschen erreichte und ihnen half, sich eine eigene Meinung zu bilden. Viele ehemalige RIAS-Hörer berichten noch heute, wie wichtig der Sender für sie war – als Informationsquelle, als kulturelle Bereicherung und als Symbol der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Das Gebäude in der Kufsteiner Straße steht noch heute und wird mittlerweile vom Deutschlandradio genutzt. Es erinnert an eine Zeit, in der Radio nicht nur Unterhaltung war, sondern eine Lebensader für Menschen, die in einem unfreien System lebten.
Die Geschichte von RIAS zeigt, wie wichtig freie und unabhängige Medien sind – eine Lektion, die auch in der heutigen Zeit nichts an Aktualität verloren hat. Der Slogan “Eine freie Stimme der freien Welt” bleibt ein zeitloses Ideal, für das es sich zu kämpfen lohnt.

